Hintergrund

Performanz:
Leistungsnachweis in den sozialen Medien

Lesedauer 5min

Wenn CEOs ein Profil in den sozialen Medien unterhalten, wollen sie sich profilieren – und zwar im Wortsinn: Sie wollen ihr Profil in der Öffentlichkeit schärfen, sie wollen erkennbar sein und wahrgenommen werden. Es geht um Reaktionen und Reichweite, um Follower und Engagement. Nicht selten werden Topmanager in den sozialen Medien zu Avataren ihres Unternehmens stilisiert, zu wirtschaftlichen Gallionsfiguren und prominenten Markenbotschaftern.

All diese Eindrücke sind nicht falsch, bleiben aber an der Oberfläche verhaftet. Der öffentliche Auftritt auf diesen digitalen Bühnen hat tatsächlich viele werbliche Komponenten, er hat aber auch mit einem Mentalitätswandel zu tun. Vorbei die Zeiten, in denen sich die Vorstandschefs der Deutschland AG ausschließlich in Hinterzimmern besprachen. Heute ist es Teil des Jobs, auch auf einem weltweit sicht­baren Kanal wie LinkedIn aktiv zu sein und als Führungskraft öffentlich wahrgenommen zu werden. Grund dafür ist ein neues Paradigma der Performanz.

Dieser Begriff der Performanz ist dabei nicht zu verwechseln mit Performance. Letzteres bezeichnet in einem ökonomischen Kontext in der Regel die Leistung einer Person oder eines Unternehmens. Der soziologische Fachbegriff der Performanz beschreibt dagegen vor allem die Darstellung von Leistung. Noah ­Chomsky definiert den Begriff entsprechend als das beobachtbare Verhalten, in dem Kompetenz sichtbar wird.1 Performanz beschreibt in diesem Sinne die spät­moderne Transformation unserer Arbeitswelt. Denn dieser Wandel ist radikal, der Trend zum Social CEO liegt nicht allein an der Erfindung von Facebook oder ­­LinkedIn. Die bloße Möglichkeit zur personalisierten, selbst gesteuerten Kommunikation ändert noch keine berufliche Praxis. Letztlich gilt umgekehrt: Technologische Entwick­lungen können nur dann eine flächendeckende Wirkung entfalten, wenn sie auf einen Nährboden sozialer und gesellschaftlicher Motive treffen.

  1. In "Regeln und Repräsentationen", Frankfurt 1981

Die performative Wende

In der Soziologie ist in diesem Zusammenhang deshalb auch von einer neuen Performanzökonomie die Rede: von einer performativen Wende auf dem Arbeitsmarkt, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat.2 Es geht dabei um eine sehr grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Anerkennung von Arbeit. Der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz schreibt dazu: „Die Praxis der spätmodernen Arbeitskultur ist zumindest für die Hochqualifizierten in der Wissens- und Kulturökonomie tatsächlich immer mehr am Format der Performanz anstelle der sachlichen Leistung ausgerichtet.“3

Reckwitz meint das nicht als Kritik, sondern beschreibt den zentralen Unterschied zwischen Leistung und Performanz, der für das heutige Verständnis des Arbeitsbegriffs entscheidend ist: Leistung wird gemessen, Performanz wird bewertet. Wirtschaftliche Akteure – ob Individuen oder Unternehmen – sind in der heutigen Netzwerkgesellschaft mehr denn je auf die positive Wahrnehmung ihrer Stake­holder angewiesen.4 Aus diesem Grund wird die performative Bewertung von Arbeit immer wichtiger. Arbeit wird im 21. Jahrhundert eben nicht mehr nur erledigt, sie wird auch und vor allem präsentiert – vor Publikum, vor Kolleginnen und Kollegen, vor der Konkurrenz und einer interessierten Öffentlichkeit. Von der Bewertung dieser Stakeholder hängt dann ab, ob man im Job als erfolgreich gilt. Genau das ist die performative
Wende: Ging es früher um eine sachliche und messbare Abfolge bestimmter Prozesse, wird heute die ganzheitliche Darstellung wichtig, auch als Überzeugungsarbeit in eigener Sache.

Für Akteure unserer Arbeitswelt entsteht dadurch ein neues soziales Motiv, dem die neuen Medien im beruflichen Kontext ihren Erfolg verdanken: Wo es früher ausreichte, bestimmte funktionale Qualifikationen und Kennzahlen vorzuweisen, müssen arbeitende Menschen heute ein individuelles Profil entwickeln. Sie müssen eine unverwechselbare Kombination aus Kompetenzen und Eigenschaften präsentieren, um sich von ihren Mitbewerbern zu unterschieden. Die Folge ist eine Konjunktur des Personal Brandings. Das gilt im Übrigen nicht nur auf der Vorstandsebene, sondern – als Employer Branding – auch bezogen auf ein gesamtes Unternehmen im Wettstreit um Fachkräfte.

Müssen wir heute also nicht nur schwitzen, sondern dabei auch noch Theater spielen auf der Bühne der Wertschöpfung? Falsch ist das nicht, richtig ist aber auch: Durch diese immer neue Bewertung wird Leistung gewissermaßen demokratisiert. Nicht einzelne Entscheider bestimmen, was zählt – sondern die Mehrheit entscheidet, was sie für wertvoll hält.

  1. Siehe etwa Fabian Muniesa, "The Provoked Economy. Economic Reality and the Performative Turn", London 2014
  2. Andreas Reckwitz, "Die Gesellschaft der Singularitäten", Berlin 2017, S. 208
  3. "Netzwerkgesellschaft" meint eine Gesellschaftsstruktur, in der die sozialen Akteure durch elektronische Kommunikation weltweit miteinander verbunden sind und ihre jeweilige Identität vor allem durch den Bezug und die Abgrenzung zu anderen Akteuren definieren. Geprägt wurde der Begriff vor allem durch Manuel Castells in "Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft", Opladen 2001

Präsentation von Leistung

Diese Entwicklung verändert die Arbeit, und sie verändert auch Rolle und Funktion von Führungskräften. Denn auch sie sind Akteure auf dem Arbeitsmarkt, wenn auch in einem sehr exklusiven Segment. Wer also im Social CEO nur den Markenbotschafter sieht, springt bei der Analyse zu kurz. Die digitale Öffentlichkeitsarbeit steht im Lastenheft, wenn auch noch vielerorts mit unsichtbarer Tinte. CEOs müssen ihren Marktwert öffentlich unter Beweis stellen, und immer öfter wird auch das erfolgreiche Engagement in den sozialen Netzen zum Teil der persönlichen Zielvereinbarung.

Die herausgehobene Stellung, die außergewöhnlichen Ressourcen und die kommunikative Funktion im Unternehmen sorgen natürlich dafür, dass die gezielte Profilierung eines Vorstands­vorsitzenden sehr elaboriert und umfänglich ausfällt. Beim CEO verdichtet sich an der Spitze des Unternehmens nun mal das, was in einer Netzwerkgesellschaft zur notwendigen Bedingung geworden ist: Kommunikation als Voraussetzung für das Management materieller und immaterieller Ströme.5

Dazu kommt: Auch in den sozialen Medien bewegt sich der CEO als Akteur innerhalb wirtschaftlicher und politischer Strukturen. Diese Strukturen werden auf einer Plattform wie LinkedIn allerdings radikal personalisiert und auch privatisiert, nicht zuletzt durch die Reaktionen anderer Menschen. So ist es in diesem Kontext problemlos möglich, dass der Vorstandsvorsitzende von VW auf die Urlaubsbilder eines österreichischen Politikers reagiert und vielleicht sogar freundlich kommentiert. In dieser Form und Öffentlichkeit vor einem Jahrzehnt nur schwer vorstellbar. Die soziale Dynamik ist dabei ambivalent und offiziös, weil durch Momente der Rollendistanz die Grenzen zwischen privatem Interesse und beruflichem Engagement auch immer wieder verschwimmen können: Will dieser Politiker einen privaten Moment mit seinen Followern teilen, oder will er den Tourismus einer Wintersportregion ankurbeln? Fühlt sich Herbert Diess, Vorstandschef des VW-Konzerns, dabei einfach nur an seinen letzten Urlaub erinnert, wenn er reagiert? Will er als moderne Führungskraft nahbar und sympathisch wirken? Oder will er sich stärker um die Vertriebsregion Österreich bemühen? Die Motivation bleibt in beiden Fällen gleich: Es geht um die Performanz der eigenen Rolle, auch durch das bewusste Beiseitetreten durch vermeintlich private Momente. Das Wechselspiel dient damit demselben Ziel, das Unternehmen seit einigen Jahren durch eine zunehmende Betonung von Purpose erreichen wollen: dass möglichst viele Menschen die unternehmerische Arbeit als wertvoll wahrnehmen. Bei der Profilierung in den sozialen Netzwerken werben CEOs im Grunde um ihre persönliche licence to operate.

  1. Der Trend zum Corprate Influencer ist aber auch auf anderen Hierarchiestufen kaum aufzuhalten, wie zahlreiche Studien zeigen. Zum Beispiel von Yeunja Lee und Weiting Tao, "Employees as information influencers of organization’s CSR practices", Miami 2020
Wirtschaftliche Akteure sind mehr denn je auf die positive Wahrnehmung ihrer Stakeholder angewiesen.”

Führungskräfte auf der ­Bühne der Öffentlichkeit

Das betrifft nicht nur, aber vor allem die Vorstandsvorsitzenden von Aktiengesellschaften. Ein börsennotiertes Unternehmen ist der Performanz auf besondere Weise verpflichtet: Die öffentliche
Bewertung schlägt sich unmittelbar auf den Aktienkurs nieder, der wiederum die Arbeit und das Verhältnis von Aufsichtsrat und Unternehmensführung beeinflusst. Ganz offensichtlich wird dieser Zusammenhang zum Beispiel in einem Feature der Anlageberatung The Motley Fool: Zu jedem besprochenen Wertpapier bietet der Dienstleister auch ein sogenanntes „CEO-Rating“ – eine Prozentzahl, die sich aus der öffentlichen Bewertung auf der HR-Plattform Glasdoor berechnet. Während der Coronakrise zeigten sich dann außerdem die praktischen Konsequenzen eines starken CEO-Auftritts: Wer besonders präsent in der Öffentlichkeit war, konnte die negativen Auswirkungen der Krise auf den Aktienkurs abfedern.

LinkedIn bietet für diesen Auftritt das richtige Parkett, eine große Bühne mit großzügig bestuhltem Auditorium. Hier können Vorstandsvorsitzende ihre Rolle in all den unterschiedlichen Facetten spielen, die man von ihnen erwartet: als entscheidungsstarke Anführerin, als weitsichtiger Stratege, als umtriebige Managerin, kreativer Visionär oder engagierte Wirtschaftsdiplomatin. Der ursprüngliche Sinn des Netzwerks als Adressbuch der beruflichen dramatis personae wird durch die performative Wende bestätigt und ausgebaut zu einem Portfolio der Kompetenzen.6

Kein Wunder also, dass auch immer mehr deutsche CEOs vor allem LinkedIn für sich entdecken. Denn im Vergleich zu Twitter, Instagram oder anderen Netzwerken können sie LinkedIn sehr viel kontrollierter bespielen. Das Publikum ist wohlwollend, die Streu­verluste sind gering. Genau deshalb ist die Plattform auch für die Analyse so interessant: Denn wer wissen will, mit welchem Rollen­verständnis ein moderner Vorstandsvorsitzender in die wirtschaftsinteressierte Öffentlichkeit tritt, der schaut auf LinkedIn. Dort ist er Mensch, dort muss er es sein.

  1. "The CEO Brand and its Impact on Business", FTI Consulting 2020