Hintergrund
LinkedIn als Bühne
Wer in den sozialen Medien kommuniziert, betreibt Impression Management. So nennt die Sozialpsychologie die bewusste oder unbewusste Steuerung des Eindrucks, den Personen oder Unternehmen auf andere machen. Der Begriff umfasst auch (aber nicht nur) moderne Disziplinen wie Personal Branding und professionelle Markenführung. Dabei geht es um selektive Information und kontrollierte Wahrnehmung: Wir zeigen anderen Leuten nur das, was wir sie sehen lassen wollen.1
Auf diese Weise vermitteln Menschen ihr Selbstbild nach außen. Das geschieht meistens unbewusst, zum Beispiel in Freundschaften oder familiären Beziehungen. Es geschieht aber auch sehr bewusst, wie etwa in einem Bewerbungsgespräch oder bei einem Geschäftstermin. Mit einer alten Freundin werden andere private Informationen geteilt, als mit einem potenziellen Investor – so sympathisch man sich auch sein mag. Das Ziel ist ein bestimmtes Image; nicht im negativen Sinne als Ausdruck von Geltungsbedürfnis oder Selbststilisierung, sondern neutral als kommunizierte Identität.
- Geprägt wurde der Begriff von Erwing Goffman, "The Presentation of Self in Everyday Life", Edinburgh 1959.
Die soziale Welt ist eine Bühne, mit Publikum, Darstellern und Außenseitern, mit Zuschauern und Kulissen."
Um diese Dynamik zu erklären, hat die Forschung schon früh die Metapher des Theaters für sich genutzt. Im Vorwort der deutschen Ausgabe des sozialwissenschaftlichen Klassikers The Presentation of Self in Everyday Life von Erving Goffman aus dem Jahr 1959 schreibt der Soziologe Ralf Dahrendorf: „Die soziale Welt ist eine Bühne, eine komplizierte Bühne sogar, mit Publikum, Darstellern und Außenseitern, mit Zuschauerraum und Kulissen.“2 Im Fall der sozialen Medien ist diese metaphorische Bühne zwar eine rein virtuelle Umgebung, in der jedoch real interagiert wird. Das Bühnenbild, also Profilseite, Nutzeroberfläche und Content-Feed, bietet eine Bandbreite an Requisiten zur Selbstdarstellung und Interaktion.
Für Goffman und Dahrendorf ist dieses Alltagstheater ein Spiel der sozialen Rollen.3 Diese Rollen werden durch bestimmte soziale Anforderungen konturiert und sind eng mit dem Begriff der Identität verbunden. Es geht um den Handlungsspielraum, den das Umfeld über Normen, Erwartungen und Sanktionen abgrenzt. Das hat schon in den 1930ern der Philosoph George Herbert Mead erkannt. Für Mead entsteht die Identität im Wechselspiel mit anderen Menschen. Erfolgreich kann dieses Spiel aber nur sein, wenn der Mensch die Regeln der jeweiligen sozialen Gruppe verstanden hat – und ihre Anforderungen an seine Rolle.4
Das Prinzip gilt auch für die soziale Bühne auf LinkedIn und die Rollen, die dort gespielt werden. Nur wer sich wie ein CEO verhält, wird auch wie ein CEO wahrgenommen. Allerdings schillert diese Rolle im Licht der Öffentlichkeit noch sehr viel stärker als vor einigen Jahren. Darauf weist unter anderem der Management-Berater Jan Hiesserich hin und beschreibt in seiner Literatur unterschiedliche Rollenfächer, zwischen denen ein CEO angesichts seiner Stakeholder kontinuierlich wechseln muss.5 Jedes Fach hat eigene Anforderungen, denen denen unterschiedlich begegnet werden kann.
- Der deutsche Titel von Goffmans Buch ist plakativer: Wir alle spielen Theater, München 1969. Zitat auf S. VII.
- Dahrendorf hat dieses Konzept im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff „Homo Sociologicus“ bekannt gemacht: Ders., "Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle", Wiesbaden 1965.
- Vgl. George Herbert Mead, "Mind, Self & Society", Chicago 1934.
- Jan Hiesserich, "Der CEO im Fokus", Frankfurt 2015. Hiesserich definiert für den CEO insgesamt acht Rollen: Visionär, Bewahrer, Teamplayer, Manager, Stratege, Change Agent, Führungspersönlichkeit und Corporate Citizen.
Dazu gehört auch der kalkulierte Bruch mit der Erwartungshaltung. Die Soziologie spricht dann von Rollendistanz: Wenn jemand auf offener Bühne aus der Rolle heraustritt und die vierte Wand – also die Wand zwischen Bühne und Publikum – durchbricht.6 So ein bewusster Wechsel in eine andere Rolle, zum Beispiel in die des Familienvaters, der Hundehalterin oder des überzeugten Demokraten, hat im sozialen Wechselspiel einen starken Effekt. Ein CEO kann sich emotional entlasten, vor allem aber lockert er dadurch das Korsett der sozialen Regeln, besonders in einem Netzwerk aus weitgehend subalternen Nutzern. So wie ein Chefchirurg während einer anspruchsvollen Operation durch einen kleinen Witz kurz aus der Rolle fällt und damit seinem Team die Anspannung nehmen kann, so lockert ein CEO durch bewusste Einsprengsel die Interaktion mit seinem Netzwerk auf. 7
Dieses bewusste Übertreten von Regeln hat aber nur einen performativen Effekt, wenn diese Regeln allgemein bekannt sind und normalerweise befolgt werden. Der souveräne Umgang mit dem Spiel der Rollen ist entscheidend für die Wirkung auf das Publikum. Das Impression Management gelingt nur, wenn der CEO die Erwartungen erfüllt, die an seine Rolle gestellt werden. Wer den Eindruck einer Strategin, eines Visionärs oder eines Teamplayers erwecken will, darf das nicht nur behaupten. Er oder sie müssen sich auch auf eine bestimmte Art und Weise verhalten. Nur dann entsteht Authentizität, und zwar als Rollen-Authentizität. Denn das griechische Wort authentikós bedeutet übersetzt zuverlässig. Gemeint ist die Bestätigung einer Erwartungshaltung.
Am besten gelingt diese Bestätigung durch eine reflektierte und zielgerichtete Darstellung der eigenen Arbeit. Und durch das Befolgen einer Empfehlung an das dramatische Schreiben: Show, don’t tell. Wenn das Publikum der Protagonistin etwas glauben soll, muss es sie dabei beobachten können. Es reicht also nicht, einfach im Profiltext zu behaupten, man sei beispielsweise Experte für Künstliche Intelligenz und Quantenmechanik. Man muss das dem Publikum auch zeigen, durch entsprechenden Content und einschlägige Kommentare.
- Erving Goffman, "Interaktion: Spaß am Spiel – Rollendistanz", München 1973
- Solche Postings werden fast immer auf besondere Weise eingeleitet, zum Beispiel mit „Kurz in eigener Sache“ oder „Normalerweise schreibe ich hier über… aber heute will ich…"